Sonntag, 12. Juni 2011

Geständnisse eines Tierschützers

Als Tierfreund habe ich mich schon immer bezeichnet. Schon als Kind hatte ich eine Katze, die ich abgöttisch geliebt habe. Wenn ich im Fernsehen gesehen habe, wie ein Löwe eine Gazelle reißt, war ich empört und den Tränen nahe. Meine Katze fing mal eine Maus. Da war ich sauer auf die Katze und habe die Maus beweint. Meine Eltern erklärten mir dann immer, dass die Natur grausam sein kann. Damit müsse ich leben.

Dass ich damals viel grausamer war als die Tiere, die einfach nur überleben wollten oder ihren Trieben folgten, war mir nicht bewusst. Es wurde mir sogar 25 Jahre lang nicht klar. 25 Jahre. Ein Vierteljahrhundert.

Schweine in der Massentierhaltung25 Jahre lang habe ich in Auftrag gegeben, dass Tiere in ihren Fäkalien leben müssen. Dass sie davon Entzündungen und Verätzungen bekommen. Dass sie von den Ammoniakdämpfen eitrige Lungen bekommen. Dass sie so überzüchtet werden, dass ihre Skelette die schnell wachsenden Fleischmassen nicht mehr tragen können. Dass deshalb sogar ihre Herzen versagen können. Dass sie als Kinder geschlachtet werden, die in Erwachsenenkörpern stecken.

Hühner in der Massentierhaltung25 Jahre lang habe ich mitfinanziert, dass Tiere dicht an dicht in Ställe gedrängt werden. So dicht, dass man den Boden kaum noch sehen kann. Dass die Tiere kaum schlafen können, weil die Bewegung eines Tiers dazu führt, dass mehrere andere Tiere weggedrückt werden. Ein Masthuhn kommt selten dazu, seine Augen für länger als 60 Sekunden zu schließen. So etwas wird gemessen.

Pute in der MassentierhaltungEin Vierteljahrhundert lang habe ich zugelassen, dass Puten und Legehennen Teile ihrer Schnäbel abgetrennt werden. Dass Kälbern die Hörner ausgebrannt werden. Dass man Ferkeln die Schwänze abtrennt und ihnen die Eckzähne abschleift. Alles ohne Betäubung. Wissenschaftler sagen, dass ein Vogel, dem man einen Teil seines Schnabels abtrennt, so ist, wie ein Mensch, dem man einen Teil seines Kiefers entfernt. Das alles wird gemacht, damit die Tiere sich nicht gegenseitig verletzen und töten. Trotzdem kratzen und beißen sie sich manchmal blutig, und sie reißen sich gegenseitig die Federn raus. Vor Langeweile. Und weil man ihnen das falsche Futter gibt.

Schlachtung bio / konventionell25 Jahre lang habe ich dazu beigetragen, dass jedes Jahr hunderttausende Tiere bei der Schlachtung nicht richtig betäubt werden. Dass Schweine zum Teil im heißen Wasserbad ertrinken, und dass die Schlachtindustrie kein Mitleid für diese Tiere hat, sondern nur verachtende Namen. »Matrosen«. Wirklich. »Matrosen«. 25 Jahre lang war auch ich daran schuld, dass Hühner und Puten miterleben, wie ihnen alle Federn aus dem Leib gerissen werden. Dass Rinder noch bei Bewusstsein sind, wenn damit begonnen wird, sie zu zerlegen.

Ich habe vieles wieder gutzumachen. So vieles.

Ich habe gedacht, Bio sei die Lösung. Aber dann sah ich Biohennen ohne Federn. Dann erfuhr ich, dass auch in der Biohaltung die Brüder der Legehennen als Küken geschreddert oder vergast werden. Dass auch Biokühe künstlich geschwängert werden, damit sie Milch geben. Dass auch ihnen die Kälber entrissen werden. Dass auch diese Tiere im jüngsten Alter geschlachtet werden, weil sie nicht mehr die gewünschte Leistung bringen. Dass es keinen Unterschied gibt zwischen Bioschlachtung und konventioneller Schlachtung.

Nach einem Vierteljahrhundert habe ich aufgehört, für all das mitverantwortlich zu sein. Es in Auftrag zu geben. Es zu finanzieren.

Früher war ich immer der mit den Veganerwitzen. »Kinder, kommt rein, das Essen wird welk.« Inzwischen höre ich mir diese Witze selbst an. Habe ich auch nicht besser verdient.

Zum Autor: Mahi Klosterhalfen ist seit dem Jahr 2008 Vizepräsident der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt. Seit 2005 lebt er vegan. Wer sich für die bislang tierfreundlichste Ernährungsform interessiert, findet dazu auf www.v-heft.de alle wichtigen Informationen.

(Quelle: http://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/gestandnisse-eines-tierschutzers)

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